Stefan Gierke entwickelte eine Antidiskriminierungskampagne für eine Bürgerplattform. Eine echte Herausforderung. Denn wer Rassismus oder Diskriminierung in Social-Media-Kanälen zum Thema macht, muss auch mit starken Reaktionen umgehen können. Ein hochemotionales Feld, das eine fundierte Social-Media-Strategie erfordert. Entwickelt hat er sie in der Weiterbildung „Social Media Manager*in“.

Sie haben die Weiterbildung „Social Media Manager*in“ an der Akademie für wissenschaftliche Weiterbildung der TH Köln absolviert. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Ich bin in der Lage, eine Social-Media-Kampagne zu organisieren und erfolgreich umzusetzen. Noch vor wenigen Jahren hatte ich wenige Berührungspunkte damit. Bei meiner Arbeit als Community Organizer wurde jedoch schnell klar, welche Möglichkeiten wir daraus schöpfen können. Das wollte ich lernen und gleich für eine aktuelle Themenkampagne anwenden.

Teil der Weiterbildung ist die Erstellung einer berufsbezogenen Projektarbeit. Sie sind Community Organizer. Was ist das genau?

Community Organizer und Bürgerplattformen in Köln, Duisburg und Berlin arbeiten daran, ihre Städte und ihre Nachbarschaften zu verbessern. Sie identifizieren Missstände und erarbeiten Handlungsmöglichkeiten, um gemeinsam Veränderungen zu bewirken. Durch Community Organizing wird das basisdemokratische Handeln der Mitglieder gestärkt und das Miteinander unterschiedlicher zivilgesellschaftlicher Gruppen in der Nachbarschaft gefördert.
In meiner Projektarbeit an der TH Köln habe ich eine Social Media Kampagne für die Bürgerplattform STARK im Kölner Norden entwickelt. Die Gruppen der Bürgerplattform waren gerade dabei eine Antidiskriminierungskampagne gegen eine regional bekannte Fitnesskette zu starten. Die Frage, die ich mir zu Beginn meiner Projektarbeit gestellt habe, war, wie ich als Community Organizer die Möglichkeiten Sozialer Netzwerke für die Kampagnenarbeit nutzen kann, um ein breites Interesse der Öffentlichkeit für unser Thema zu erzeugen.

Sie sagen: „Alles beginnt mit der Beziehungsarbeit vor Ort“. Wie können Sie diese ‚analoge‘ Beziehungsarbeit in die sozialen Medien übertragen?

Beziehungsarbeit vor Ort ist der Kern der Arbeit des Community Organizers. Er baut die Beziehungen kontinuierlich, zielorientiert und strategisch auf. Gemeinsam mit den Menschen im Stadtteil reflektiert er ihre Interessen, Ziele und Visionen. Diese persönliche Ebene kann nicht 1:1 in die Sozialen Netzwerke übertragen werden. Das ist auch nicht unser Ziel. Vielmehr sehen wir enormes Potenzial darin, unsere Arbeit um die digitale Komponente zu erweitern. Wir erreichen sehr viel mehr Menschen, die Interesse daran haben, sich in ihrem Umfeld zu engagieren und auf dieser Ebene schneller und besser anzusprechen sind. Die Gruppen der Bürgerplattformen können sich über die sozialen Netzwerke organisieren, neue Mitglieder gewinnen und Menschen zum gemeinsamen Handeln mobilisieren. Und nicht zuletzt hat jeder, der sich für Community Organizing interessiert, die Möglichkeit, sich im Internet und den Sozialen Medien schnell und einfach über unsere Arbeit zu informieren. Zentraler Bezugspunkt ist und bleibt jedoch die analoge, lokale Verankerung und Arbeit vor Ort. Es ist aber auf jeden Fall ein Erlebnis beispielsweise eine Videokonferenz über soziale Netzwerke mit 150 Teilnehmenden aus aller Welt zu führen, die sich alle für Community Organizing begeistern.

Das zentrale Element Ihrer beschriebenen Kampagne war eine Themenkampagne, die sich mit dem „versteckten Rassismus einer Sportstudio-Kette“ beschäftigte. Ein sehr aktuelles Thema, auf das die Menschen zum Teil auch sehr emotional reagieren – besonders in den sozialen Medien. Welchen Herausforderungen mussten Sie sich in diesem Kontext stellen?

Das Thema Diskriminierung und Rassismus ist sehr emotional aufgeladen. Da wir mit unseren Kampagnen immer ein konkretes Ziel verfolgen, in diesem Falle die Beendigung der diskriminierenden Geschäftspraxis der Fitnessstudiokette, müssen wir genau abwägen, wie wir dieses Ziel erreichen können. Über Emotionalisierung und Moralisierung beispielsweise über Social Media ist es da häufig nicht getan, da wir die Geschäftspraxis des Fitnessunternehmens nur in Zusammenarbeit mit dem Unternehmen verändern können. Dies unter anderem auch deshalb, da die rechtlichen Möglichkeiten im Rahmen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) gegen die diskriminierende Selektionspraxis des Fitnessunternehmens vorzugehen, beschränkt sind. Aufgrund der rechtlichen Dimension muss wohl überlegt sein, welche Inhalte und auf welche Weise diese im Rahmen einer Kampagne über Social Media veröffentlicht werden sollten, ohne sich rechtlich angreifbar zu machen. Im Fall der Fitnessstudio-Kampagne wurde nach einer Machtanalyse zunächst darauf verzichtet, die in den Startlöchern stehende Social Media Kampagne zu starten. Es musste davon ausgegangen werden, als Antwort eine Unterlassungsklage seitens der Fitnesskette zu erhalten. Stattdessen wurde seitens der Bürgerplattform Stark! im Kölner Norden und ihrer mehr als zwanzig verbündeten Organisationen aus Köln eine Ankündigung der bevorstehenden Veröffentlichung an das Fitnessunternehmen zugestellt. Der Geschäftsführung der Fitnesskette wurde die Möglichkeit eingeräumt diese Veröffentlichung durch die Zusage zu einem persönlichen Gesprächstermin mit dem Bündnis zu vermeiden. Obwohl die Geschäftsführung der Fitnesskette ein persönliches Gespräch abgelehnt hat, hat die Ankündigung der Kampagne ihre Wirkung gezeigt: Der Bürgerplattform und ihrem Bündnis sind durch ihre Aktion mittlerweile zwei vierseitige Schreiben der Anwaltskanzlei der Fitnesskette zugegangen. Diese Schreiben sind die erste öffentliche Reaktion zu den jahrelangen Diskriminierungsvorwürfen. Mit dieser Reaktion können wir weiterarbeiten. Die Bedeutung, die der digitale Raum und Social Media für die Öffentlichkeit mittlerweile einnimmt, ist uns bewusst geworden.
Die eingeschaltete Kanzlei ist übrigens Expertin für Medien- und Presserecht und in Medienkreisen bekannt. Durch ihr Einschreiten wurden einige Medien, die vormals Interesse an einer Berichterstattung zeigten, abgeschreckt und haben sich zurückgezogen. Auch diese Reaktion ist eine praktische Herausforderung, mit der die Bürgerplattform und die Organizer*innen umgehen müssen und die Implikationen auf die Nutzung von Social Media wahrscheinlich nicht nur in diesem konkreten Fall hat.

Sie haben nach erfolgreichem Abschluss des Social Media Managers direkt mit der Weiterbildung „SEO Manager*in“ begonnen. Zunächst, vielen Dank für Ihre Treue. Was war Ihre Motivation dafür?

Gute Akteure für Kampagnen und die richtige Anwendung von Social Media sind nur ein Baustein zu mehr Öffentlichkeit für Bürgerplattformen und deren Themen. Zusätzlich braucht es eine Strategie, um die eigene Internetpräsenz zu organisieren. Diese u.a. technische Komponente ist der zweite Baustein. Durch die Weiterbildung „SEO Manager*in“ habe ich verstanden, welche Grundlagen unserer Webseitengestaltung und welche externen Faktoren ausschlaggebend dafür sind, ob und wie wir von potentiellen Zielgruppen gefunden werden.
Das DICO hat mit communityorganizing.de mittlerweile eine neue Domain für die Arbeit von Bürgerpattformen und Organizern in ganz Deutschland erstellt. Sie wird anhand des erworbenen Wissens permanent weiterentwickelt.
Ich selber werde ein eigenes Projekt umsetzen. Als Jugendlicher habe ich kurze Biographien von Persönlichkeiten und ihrer Rolle in der Gesellschaft geliebt. Die Erzählungen zu ihrem Leben haben mich inspiriert. Ich werde einen Blog starten, auf dem ich Persönlichkeiten vorstelle, die in ihrem Umfeld Vorbildliches leisten. Sie zu Wort kommen zu lassen und die Gründe für ihr Handeln deutlich zu machen, soll andere motivieren, es ihnen gleich zu tun.
Meine Erfahrung ist, dass wir viele Vorbilder in der eigenen Nachbarschaft nicht erkennen. Ihnen etwas mehr Öffentlichkeit zu geben und andere für gesellschaftliches Engagement zu gewinnen ist mein Ziel.

Neues zu lernen und in die eigene Weiterbildung zu investieren, hat sich für mich gelohnt. Es ist anstrengend und zeitintensiv, nach der Arbeit und am Wochenende zu lernen. Die Projektarbeit war jedoch unmittelbar mit meinen beruflichen Herausforderungen verbunden. Dadurch hat sich der Aufwand am Ende für meinen Arbeitgeber und mich persönlich auf jeden Fall gelohnt.
Danke an das Team der TH-Köln! Ihr habt mich stets super begleitet und unterstützt.